Lindenstrasse 22

Der Landsitz Diessenhof wurde 1729 erbaut und 1983/84 restauriert. Er ist ein repräsentativer quaderförmiger Bau unter hohem Vollwalmdach; die Fassaden zeigen eine gepflegte Sandsteingliederung. Die beiden äussersten Fensterachsen der Längsfassaden sind durch Lisenen abgetrennt. Im Westen gibt es eine tiefe, doppelgeschossige Laube mit kräftigen Säulen im Erdgeschoss und schöner Balusterbrüstung im Obergeschoss. Fensterläden und Dachuntersicht zeigen Rokoko-Dekorationsmalerei. Angegliedert ist ein Bauernhaus von ungefähr 1882 mit Wohn-und Ökonomieteil und einem grossen Nutzgarten.

Landwirtschaft

Die südliche Seite des Diessenhofs | Ansichtskarte: Walther Krähenbühl

Der Boden um Oberdiessbach wurde gerodet, entsumpft, geebnet und von Steinen und Dornen befreit. Ausser dem Burgherrn, dem Priester, dem Müller und einzelnen Handwerkern waren hier im Mittelalter die meisten Bewohner als Bauern tätig. Die Landwirtschaft war schon früh stark reguliert und folgte einem solidarischen Gedankengut. Wohl schon vor tausend Jahren betrieben die Dorfbauern eine Dreifelderwirtschaft. Das Wies-und Ackerland war unter den verschiedenen Besitzern aufgeteilt, Wald und Allmend wurden gemeinsam genutzt. Vom Spätmittelalter bis etwa in die Mitte des 19. Jh. gab es den Flurzwang. Eingezäunte Felder und abgelegene

Einzelhöfe waren davon ausgenommen. Dort durfte anders angepflanzt werden. Im Rahmen der Dreifelderwirtschaft war jeder Bauer verpflichtet, sich an die abgesprochene Fruchtfolge und die vorgegebenen Zeiten für das Pflügen, Säen und Ernten sowie den Wald-und Weidgang zu halten. So konnte sich niemand Vorteile erarbeiten, und es entstanden keine Flurschäden. Diese Koordination war zwingend, weil es zwischen den Ackerböden unterschiedlicher Besitzer meist keine Wege gab. Bei der Dreifelderwirtschaft wurde der Ackerboden in die drei Teile Brachfeld, Winter-und Sommerzelg aufgeteilt. Die Art der Nutzung wechselte dabei jedes Jahr. Das Brachfeld kam unter den Pflug und wurde zur Winterzelg. Hier säte man Wintergetreide wie Dinkel, Spelt (Weizen) oder Roggen aus. Auf der Sommerzelg wurden Haber, Mischelkorn (Mischung von Roggen und Weizen) oder Erbsen angesät. Und die Brachzelg war reserviert für den Weidgang. Im Brachmonat brach man die Brachzelg auf und pflügte sie bis zum Herbst einige Male um. Nach dem Säen wurde der Acker jeweils eingefriedet; er durfte nicht mehr betreten werden. Sobald der Erntebefehl durch den Schlossherrn ergangen war, wurden die Zäune niedergelegt. Jeder schnitt sein Getreide, stellte die zehnte Garbe aus der Reihe und führte seinen Teil heim. Das Stoppelfeld diente bis zur Neubestellung als Viehweide. Auch die Viehhaltung war genau reglementiert. Die Zuteilung erfolgte gemäss der Grösse des Landbesitzes. Die Gemeinde sorgte für einen währschaften Zuchtstier. Die Allmend – bei uns etwa das Haubenmoos – war meistens für die Pferde reserviert. Sie wurden damals im Verhältnis zum Rindvieh viel häufiger gehalten. Das Emmental war ein wichtiges Produktionsgebiet für

General Guisan 1943 zu Besuch auf Schloss Oberdiessbach (v.l.n.r. Charles v. Wattenwyl, Oberst Eduard v. Wattenwyl, General Henri Guisan, Diessenhof-Pächter Friedrich Ramser) | Bild: PVo 200

den Pferdeexport. Auch die Nutzung des Waldes bzw. des Holzes war streng geregelt. Arme und Rechtlose erhielten auf Anfrage ebenfalls eine Holzzuteilung.Der zehnte Teil des Ertrags der Äcker und Wiesen war ursprünglich der Kirche zugedacht. Je ein Viertel davon gehörten dem Bischof, dem Ortspfarrer, war für den Unterhalt der Kirche reserviert oder wurde den Armen geschenkt. Immer mehr Landbesitzer kauften sich im Verlauf der Zeit aber vom Zehnten los. 1759 wurde in Bern die Ökonomische Gesellschaft gegründet. Sie empfahl die Abwendung von der Dreifelderwirtschaft und zeigte, wie man den Boden anders und besser nutzen konnte – etwa mit dem Ansäen von Klee und Grasmischungen. Nun wurde die Stallfütterung möglich. Und mit dem Stalldünger konnte der Ertrag der Äcker verbessert werden. So verminderte sich der Anbau von Getreide, die Pferdehaltung ging zurück, und die Rindviehhaltung wurde gefördert. Damit war das Zeitalter der Milchwirtschaft auch im Talgebiet eingeläutet. 1815 wurde in Kiesen die erste Tal-Käserei gegründet, 1852 diejenige von Diessbach (W7).

Der Diessenhof umfasste 100 Jucharten (zwischen 32 und 36 ha) angebautes Land und hatte damit von Anfang an eine wichtige landwirtschaftliche Bedeutung. Er war von jeher im Besitz der Familie v. Wattenwyl, wurde aber 1772 an den Hauptmann Johannes Bürki (1739-1814) verkauft. Im Jahr 1881 führte Catherine Sophie v. Wattenwyl (1827-1912) den Diessenhof wieder zurück in die ursprüngliche Besitzerfamilie. Die Landwirtschaft wurde von 1882 bis 1937 in Form eines Musterhofes in Pacht von Rudolf Ramser-Dummermuth geführt. Er und sein Sohn Fritz galten als fortschrittliche Landwirte. Hier wurden in der Folge Gemüse-und Gartenbaukurse durchgeführt. Auch Henri Guisan (1874-1960), der spätere General der Schweizer Armee im Zweiten Weltkrieg, absolvierte hier 1897 ein landwirtschaftliches Praktikum und wurde in der Folge zu einem gern gesehenen Gast auf Schloss Oberdiessbach (Bild). Urs Bläuer arbeitete ab 1968 als Meisterknecht bei Rudolf v. Wattenwyl und konnte den Hof1973 pachten. Seit 2004 sind sein Sohn Bruno und Denise Bläuer Pächter. Sie hegen und pflegen eine Betriebsfläche von 44 ha und sind bekannt durch ihren Hofladen.

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