Schloss-Strasse 43

Wasserkraft als Wirtschaftsmotor

Die untere Schlossmühle bis 1995 | Bild: Beat Christ

Der Kern des Gebäudes geht wohl auf den Beginn des 17. Jh. zurück. Die Initialen unter dem Diesbach-Wappen an der Südfassade können Jost v. Diesbach (1570-1620) zugeordnet werden (A4). Im Keller-und im südseitig freiliegenden Sockelgeschoss sind vermutlich Strukturen aus dieser Zeit erhalten. Das heutige Erscheinungsbild ist durch den Umbau von 1885 geprägt – eine Riegkonstruktion unter einem Satteldach. Die Zuleitung des Diessbaches zur Mühle ist heute noch sichtbar, wie auch im Innern die Turbine und die Transmissionswelle.

Heute wird das ganze Gebäude von der Wohnbaugenossenschaft Farfalla als Wohnhaus mit 9 Wohnungen genutzt. Das ehemalige Silo im Westen aus dem Jahr 1963 wurde zu diesem Zwecke 1995 umgebaut.

Unser Dorf wurde im Auftrag der Thuner Kyburger Mitte des 13. Jh. von einem Vogt auf der Diessenburg regiert. Es umfasste einen grösseren Hof, dreizehn gewöhnliche Bauerngüter, eine Kirche und eine Mühle. Diese wurde zu einem wichtigen Motor für die dörfliche Wirtschaft. Wasserräder machten die Fliesskraft des Diessbaches für unterschiedliche gewerbliche Arbeiten nutzbar. Gewisse Wasserräder waren etwa mit einer Walkeeinrichtung versehen. Somit konnten die Weber ihr Gewebe zur Reinigung bringen und es dann fest und dicht walken lassen. Andere Mühlen waren für das Ölen und Schleifen von Werkzeugen eingerichtet. Wieder andere waren mit einer Sägerei verbunden (W2). Die «Öle» in Münsingen produzierte zum Beispiel hochwertiges Baumöl (aus Baum-und Haselnüssen sowie Bucheckern), Leinöl (aus Flachssamen) für Farben und Lacke, Mohnöl als Speiseöl – aber auch als Farbbindemittel und Salbengrundstoff, Lewatöl (aus Raps) für Öllämpchen, Ölkuchen – er wurde gemahlen und als Kraftfutter für Tiere verwendet, Wagensalbe – eine Mischung aus minderwertigem Öl und Harz – und auch Knochenmehl. Dieses wurde aus trockenen Knochen gestampft, wies einen hohen Kalkgehalt auf und war damit ein idealer Bodendünger. Unsere Knochenstampfi, das rote Backsteinhaus an der Ecke Schloss-Strasse/Schulhausstrasse, war bis 1948 in Betrieb. Weiter wurden mit der Hilfe von Wasserrädern auch Flachs und Hanf verarbeitet. Das Getreide kam nach der Brächete (Brechen) auf das Reibbett. Durch das Reiben der Mühlsteine wurde der Dinkel herausgehächelt, um saubere Fasern zu gewinnen, die man dann zu Stoff weben konnte.

Aus Flachs entstanden so leinene Tücher. Minderwertige Fasern wurden zu Schnüren oder Seilen verarbeitet. Vor allem aber gewann man aus dem Korn natürlich auch das Mehl als Grundlage für das tägliche Brot (W6). Überall, wo Energie gebraucht wurde, nutzte man die Wasserkraft. Zeitweise liefen in Diessbach sieben Getreidemühlen, wovon 5 vom Diessbach und 2 von der Kiesen getrieben wurden. Auch andere gewerbliche Betriebe, die mechanische Einrichtungen betreiben wollten, benutzten dazu die Wasserkraft des Diessbaches oder der Kiesen: So etwa die Reibe, Öle, Knochenstampfe, Säge, Schleife, Messerschmiede, Zuckerhütte und sogar die Käserei. Die Wasserkraft wurde so massgebend für den Standort vieler Betriebe. Von 1899 bis 1930 betrieb der Thuner Burger Ernst Lanzrein die Schlupfmühle an der Kiesen (nördlich des Dorfes) als Handelsmühle: Er kaufte das Getreide bei den Bauern ein, mahlte es und verkaufte das Mehl an die Bäckereien in der Umgebung. Parallel dazu mietete er die Schlossmühle als Kundenmühle: Hier brachten die Bauern ihr Getreide und liessen es gegen Bezahlung mahlen. 1930 verkaufte er die Schlupfmühle an die Mühle AG in Thun. Diese verkaufte sie weiter an die Leinenweberei Bern, die an dieser Stelle von 1934 bis 1974 eine «Bleichi» zum Bleichen von Leinwand betrieb.

Transmissionsräder im Innern der Mühle | Bild: Beat Christ

1930 übernahm Walter Lanzrein die Pacht der Schlossmühle. Er brachte die Mühle auf den neusten Stand: 1940 wurden die hölzerne Wasserzuleitung durch den heute noch sichtbaren steinernen Kanal und das Wasserrad durch eine Turbine ersetzt. 1945 wichen dann die alten Müllerei-Maschinen einem Mahlautomaten. Damit konnte die Produktion erhöht werden. Wegen der «Anbauschlacht» im Zweiten Weltkrieg war dies auch nötig. Jeder Bauer musste nun ab 1000 kg Weizen zusätzlich 150 kg Weizen mahlen lassen – als Pflichtvermahlung für die Allgemeinheit. In dieser Zeit erweiterte sich das Einzugsgebiet der Schlossmühle bis ins ganze Berner Oberland. 1956 kam mit Jakob Lanzrein die dritte Generation ans Ruder. Er konnte die Mühle 1963 im Baurecht für 99 Jahre erwerben. Im gleichen Jahr errichtete er ein Getreide-Silo mit Lagerraum und einer Anlage zum Herstellen von Mischfutter (Getreide vermischt mit Zusatzstoffen wie Soja). Der Verkauf von Getreide als Futter wurde nun immer wichtiger, die Bedeutung des Mahlens nahm ab. Übrigens auch die Kraft des Diessbaches. Während er anfangs 12 PS Leistung gebracht hatte, waren es vor 1960 nur noch 5 PS, schlicht weil die Versorgung der wachsenden Bevölkerung mit Quellwasser immer mehr Wasser beanspruchte. Ab 1960 lief die Mühle deshalb voll elektrisch. Als man die Mühle weiter automatisieren musste, zog der Besitzer die Notbremse. Wegen der drohenden Aufhebung der Pflichtvermahlung (siehe oben) verkaufte er die Mühle 1974 an die Landi Stalden-Oberdiessbach. Die Mühle wurde dann 1986 stillgelegt und zu einem Wohngebäude umgenutzt.

Mit der Industrialisierung ab Mitte des 19 Jh. wurden neue Energiequellen wichtig: Kohle, Dampf, Strom und Öl. Immerhin behielt unsere Gemeinde mit der Elektra ein Energiepfand in der Hand. Sie ist heute Wiederverkäufer von Strom an hiesige Firmen und an die Bevölkerung von Oberdiessbach. Dabei kann gesagt werden, dass 50% des gelieferten Stromes für die Grundversorgung aus Schweizer Wasserkraft stammt.

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