Spannungen zwischen Kirche und Staat

Schniggenen: Von diesem versteckten Versammlungsort aus floh 1658 der Täuferlehrer Hans Burkhalter, nachdem er wegen seines Glaubens zur Galeerenstrafe verurteilt worden war.

Die Reformation machte die Bibel zu einem Lesebuch für alle, die lesen konnten. Damit konnten die Bibel-Auslegungen der Kirche bzw. der Geistlichkeit plötzlich hinterfragt werden. Freunde des Zürcher Reformators Huldrych Zwingli waren der Überzeugung, dass in der Bibel nur Erwachsene mit einem bewussten Glauben – und nicht Kinder – getauft wurden. Sie nahmen die Friedens-Theologie der Bergpredigt (Matthäus, Kapitel 5-7) ernst und verweigerten den Kriegsdienst. Und sie hinterfragten das Recht des Staates, seine Bürger in Glaubensdingen zu bevormunden. Diese Haltung provozierte den Staat Bern ungemein, der mit der Reformation die Kontrolle auch über die kirchlichen Angelegenheiten übernommen hatte. Die «Täufer» wurden in der Folge gerade

Versöhnungsgottesdienst Schniggenen 2007 | Bild: Urs Hitz

auch in unserer Gegend aufs Schärfste verfolgt. Zur Verfolgung gehörten Enteignungen, Vertreibungen, Geiselhaft, Folterungen und Hinrichtungen (im Marzili), das Überweisen von betagten Täufern zum «Absterben» ins Gefängnis nach Bern und Galeerenstrafen. Diese dunkle Seite der Reformation wurde erst in jüngster Zeit von der Reformierten Kirche und von der Berner Regierung aufgearbeitet.

Schon bei der Einführung der Reformation mit dem Reformationsmandat von 1528 wurde angezeigt, dass die «Sekte der Täufer» nicht zu dulden sei. In verschiedenen Täufer-Mandaten wurde zur Hatz gegen die Täufer aufgerufen. Viele flohen ins Ausland, kehrten aber oft wieder aus Heimweh ins Emmental zurück. Mit der Einführung von Ehe-und Taufrödeln (offiziell verlangt ab 1571) – einem kirchlichen Verzeichnis der Eheschliessungen und (Kinder-) Taufen – konnten Familien, die gegen die staatlichen Regeln verstiessen, besser erkannt werden. 1590 wurden auf der Einwohnerliste von Oberdiessbach 16 Täufer – vermutlich 16 Haushalte – erwähnt.

Die Verfolgung der Täufer wurde in unserer Kirchgemeinde unterschiedlich ernst genommen. Während 1538 der Pfarrer von Oberdiessbach ermahnt wurde, mit den Täufern anständig umzugehen, um sie nicht zu verscheuchen, schützten einzelne Pfarrer Rückkehrer vor der erneuten Verhaftung. 1671 wurden dann aber 15 Leute in Geiselhaft genommen, um Oberdiessbach «täuferfrei» zu machen. Das Verhältnis der Familie v. Wattenwyl zu den Täufern war unterschiedlich. Wilhelm von Diesbach (ca. 1659) war Mitglied

Gedenktafel Schniggenen | Bild: Urs Hitz

der Täuferkommission, in der die Täufer befragt und verurteilt wurden. Insbesondere Pfarrer Franz v. Wattenwyl und der Pietist Friedrich v. Wattenwyl setzten sich im 18. Jh. aber für die Täufer ein. Mit dem Einzug von Täufergut machten der Staat und die Kirchgemeinden ordentlich Geld. Manchmal wurden damit neue Kirchen gebaut, um die Täufer besser überwachen zu können – etwa die Kirche Schwarzenegg (Unterlangenegg). Später setzte man die Gelder für soziale und schulische Zwecke ein. Aufgrund der Nachforschungen im Täufer-Gedenkjahr 2007 kam in der Kasse der heutigen Kirchgemeinde ein vergessen gegangenes Täuferkonto zum Vorschein! Der Betrag wurde umgehend zur freien Verwendung an das Zentrum der Mennoniten auf dem Bienenberg bei Liestal überwiesen …

Mit dem Zusammenbruch der Alten Ordnung Ende des 18. Jh. und dem Entstehen des Bundesstaates von 1848 bekamen auch die Täufer ihren Platz in der Gesellschaft. Allerdings wurden sie bis zur Einführung des Zivildienstes (1996) als Dienstverweigerer zu mehrmonatigen Gefängnisstrafen verurteilt. Das geschehene Unrecht kann nicht ungeschehen gemacht, aber aufgearbeitet und vergeben werden. In einem Versöhnungsgottesdienst im «Täuferjahr» 2007 entschuldigte sich der Oberdiessbacher Pfarrer Urs Hitz bei John Gerber, einem heutigen Laienprediger der (Neu-)Täufergemeinde, für das in der Geschichte erlittene Unrecht. Dieser nahm die Entschuldigung an und wies seinerseits auf fragwürdige Haltungen der Täufer hin. Eine Gedenktafel am Haus des Täuferversteckes bezeugt diese Versöhnung. Die Kollekte wurde weitergeleitet an die Mennonitengemeinde in Bern, die zusammen mit der Münstergemeinde ab 2018 in Bern einen Täufer-Gedenkweg gestalten will.

Auch die Berner Kirche traf sich mit den Täufern zu Versöhnungs-Gottesdiensten. In einer Vortragsreihe an der Theologischen Fakultät der Uni Bern 2006/2007 wurde zudem die schmerzvolle Geschichte aufgearbeitet. Im November 2017 entschuldigte sich schliesslich auch noch der Berner Regierungsrat Christoph Neuhaus in einer Zusammenkunft der Kirchgemeinde Münster und der Mennonitengemeinde Bern im Berner Rathaus für die Verfehlungen des Staates. In einigen Kantonen der Westschweiz (Genf und Neuenburg) sind Kirche und Staat schon länger getrennt – mit entsprechenden finanziellen Problemen für die Kirchgemeinden. Mit dem Übergeben der Dienstverhältnisse der Pfarrpersonen an die Landeskirche (ab 2019) macht auch der Kanton Bern Schritte in diese Richtung. Manche Freikirchen müssen aber bis heute in der Öffentlichkeit gegen das Sektenimage kämpfen.

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